Familienrecht: Kindesunterhalt, wenn betreuender Elternteil deutlich mehr verdient
Leben Elternteile getrennt und lebt das minderjährige Kind bei nur einem Elternteil, hat in aller Regel der andere Elternteil Barunterhalt für das Kind zu leisten. Der betreuende Elternteil genügt seiner Unterhaltspflicht nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB grundsätzlich bereits durch die Betreuung des Kindes.
Im Regelfall kommt es nicht auf das Einkommen des betreuenden Elternteils an. Wenn dieser jedoch ein deutlich höheres Einkommen als der barunterhaltspflichtige Elternteil bezieht, erkennt die Rechtsprechung in Extremfällen spezielle Ausnahmen an, bei denen sich der betreuende Elternteil an der Zahlung des Barunterhaltes zu beteiligen oder die Zahlung des Unterhaltes gar vollständig zu übernehmen hat.
Voraussetzung hierfür ist, dass der betreuende Elternteil ein deutlich höheres Einkommen als der andere Elternteil bezieht und aufgrund dieser Einkommensunterschiede im Hinblick auf die Unterhaltsverpflichtung ein „erhebliches finanzielles Ungleichgewicht“ besteht.
Fälle, in denen laut der Rechtsprechung ein solches erhebliches Ungleichgewicht vorliegt und sich der betreuende Elternteil an der Unterhaltszahlung zu beteiligen hat, stellen die klare Ausnahme dar.
In der Rechtsprechung gibt es keine eindeutige Linie, ab welcher exakten Einkommensdifferenz von einem solchen Ungleichgewicht auszugehen ist. Es folgen die wichtigsten Fälle im Überblick, in denen die Gerichte von einer Ausnahme ausgingen.
Finanzielles Ungleichgewicht bei dreifachem Nettoeinkommen
Der Bundesgerichtshof hat ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht jedenfalls in einem Fall angenommen, in dem der betreuende Elternteil über ein deutlich höheres Vermögen und ein mehr als dreimal so hohes Nettoeinkommen im Vergleich zum unterhaltspflichtigen Elternteil verfügte (BGH, Beschluss vom 10.07.2013 – XII ZB 297/12). Der betreuende Elternteil hatte den Kindesunterhalt in diesem Fall vollständig zu tragen.
Der betreuende Elternteil käme als ein „anderer unterhaltspflichtiger Verwandter“ nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB in Betracht. Voraussetzung hierfür ist stets, dass dieser in der Lage ist, unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen neben der Betreuung des Kindes auch dessen Barunterhalt ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Selbstbehalts aufzubringen.
Finanzielles Ungleichgewicht bei doppeltem Nettoeinkommen
An der Zahlung des Kindesunterhaltes zu beteiligen hatte sich nach Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte der betreuende Elternteil auch in Fällen, in denen dessen Nettoeinkommen das Doppelte des Einkommens des anderen Elternteils betrug (etwa OLG Brandenburg, Urteil vom 17.01.2006 – 10 UF 91/05).
Mindesteinkommensdifferenz von 500 €
Als Grenze gilt eine Mindesteinkommensdifferenz von 500 €. Unterhalb dieser Grenze scheidet eine Pflicht des betreuenden Elternteils zur Beteiligung an der Unterhaltszahlung aus. Von besonderer Bedeutung ist es stets, wenn der angemessene Selbstbehalt des Barunterhaltspflichtigen durch Zahlung des Kindesunterhaltes gefährdet wird.
Eine Pflicht des betreuenden Elternteils zur Beteiligung an dem Kindesunterhalt wurde in einem Fall angenommen, in dem das Einkommen des betreuenden Elternteils das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils um einen Betrag von 500 € netto überstieg und dem barunterhaltspflichtigen Elternteil bei vollständiger Zahlung des Kindesunterhaltes weniger als 1.750 € als angemessener Selbstbehaltsbetrag verblieben wären (OLG Schleswig, Beschluss vom 23.12.2013 – 15 UF 100/13). In diesem Fall musste der Barunterhaltspflichtige nur insoweit Kindesunterhalt leisten, als sein Nettoeinkommen über 1.750 € lag.
Pflicht zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils
Anstelle einer schematischen Betrachtung der Einkommensverhältnisse muss ebenfalls der vom betreuenden Elternteil geleistete Betreuungsaufwand als besondere Belastung berücksichtigt werden (OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 22.12.1992 – 18 UF 85/92).
Voraussetzung für die Beteiligung des betreuenden Elternteils an der Unterhaltszahlung ist zudem stets, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil seiner normalen Erwerbspflicht nachkommt, also vollschichtig erwerbstätig ist. Der Barunterhaltspflichtige darf die Situation des erheblichen finanziellen Ungleichgewichts nicht absichtlich herbeiführen, indem er etwa die Arbeitszeit absichtlich reduziert oder seinen Arbeitsplatz aufgibt.
Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil nachweislich keinen Vollzeitarbeitsplatz finden kann, aus gesundheitlichen Gründen nicht uneingeschränkt erwerbsfähig ist, oder wenn dieser ein Kind unter drei Jahren betreut.
Bei einer für ein Kind unter 3 Jahren bestehenden Unterhaltspflicht ist zu berücksichtigen, dass der betreuende Elternteil grundsätzlich gar nicht erwerbstätig sein müsste. Geht dieser dennoch einer Erwerbstätigkeit nach, ist dies „überobligatorisch“ und dessen Einkommen darf beim Vergleich der Einkommen der Eltern höchstens teilweise berücksichtigt werden.
Beweispflicht beim unterhaltspflichtigen Elternteil
Den Beweis dafür, dass der betreuende Elternteil ein deutlich höheres Einkommen aufweist, hat der Unterhaltspflichtige zu erbringen. Der betreuende Elternteil ist bei Aufforderung seitens dessen nach § 1605 BGB verpflichtet, Auskunft über die Einkommensverhältnisse zu erteilen.
Fazit
Im Ergebnis kommt eine Pflicht des betreuenden Elternteils, sich an der Unterhaltszahlung zu beteiligen, nur in wenigen speziellen Ausnahmefällen in Betracht. Im Regelfall bleibt es bei der Unterhaltspflicht desjenigen Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt.
Ob ein seltener Ausnahmefall von diesem Grundsatz vorliegt, ist jeweils anhand der konkreten Umstände und Verhältnisse im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsprüfung abzuwägen und für jeden individuellen Fall gesondert zu prüfen.
Katrin Eichner
Rechtsanwältin
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