Erbrecht: Ist bei „lenkender“ Erbausschlagung für minderjährige Kinder eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich?
BGH, Beschluss vom 04.09.2024 – IV ZB 37/23
Wenn Eltern eine Erbschaft für ein minderjähriges Kind ausschlagen, ist grundsätzlich eine Genehmigung des Familiengerichts erforderlich, was in §§ 1643 Abs. 1, 1851 Nr. 1 BGB (nach bis zum 31.12.2022 geltender und für den folgenden Fall noch maßgeblicher Fassung in §§ 1643 Abs. 2 S. 1, 1822 Nr. 2 BGB) festgelegt ist.
Dieser familiengerichtliche Genehmigungsvorbehalt dient dem Schutz des Kindes. Es soll gewährleistet werden, dass die Interessen des Kindes nicht beeinträchtigt werden, wenn Eltern im Namen des Kindes ein Rechtsgeschäft abschließen, das den Nachlass betrifft. In bestimmten Fällen kann es nämlich zu Interessenskollisionen zwischen dem ausschlagenden Elternteil und dem minderjährigen Kind kommen.
In § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. (§ 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) ist eine Ausnahme von diesem Genehmigungsvorbehalt geregelt. Demgemäß ist keine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn die Eltern die Erbschaft zugleich auch für sich selbst ausgeschlagen haben und der Elternteil nicht neben dem Kind berufen war.
Problematisch ist, ob eine Genehmigung – entgegen dieser Bestimmung – auch dann eingeholt werden muss, wenn ein als gewillkürter Erbe berufener Elternteil für sich im eigenen Namen und als vertretungsberechtigter Elternteil für das als Ersatzerbe eingesetzte Kind die gewillkürte Erbschaft ausschlägt, um gezielt die gesetzliche Erbfolge zu ermöglichen und das gesetzliche Erbe für sich anzunehmen (sogenannte „lenkende“ Erbausschlagung).
Bislang war diese Frage noch nicht abschließend geklärt. Mit einer Entscheidung vom 04.09.2024 wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) erstmalig Klarheit geschaffen (BGH, Beschluss vom 04.09.2024 – IV ZB 37/23).
Zum Fall:
In der Entscheidung des BGH ging es um eine Millionärin, die ihren Ehemann als Alleinerben und die beiden Kinder als Ersatzerben eingesetzt hatte. Nach dem Tod der Erblasserin schlugen der Witwer und die beiden Kinder die Erbschaft aufgrund der enorm hohen Erbschaftssteuerbelastung aus. Der Sohn der Erblasserin und dessen Ehefrau schlugen die Erbschaft zudem auch für ihr – zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborenes – Kind aus. Ziel des Vorgehens war es, die gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen, um die Erbschaftssteuer auf den Ehemann und die Kinder zu verteilen und die Steuerlast dadurch zu minimieren.
Das Nachlassgericht ging davon aus, dass für die Ausschlagung für das – mittlerweile geborenen – minderjährige Kind zunächst eine familiengerichtliche Genehmigung eingeholt werden müsse. Das Familiengericht verweigerte die Genehmigung jedoch, da der Nachlasswert für das Kind einen wirtschaftlichen Vorteil bedeutete.
Die Entscheidung des BGH:
Der BGH gab der Rechtsbeschwerde des Witwers statt und stellte klar, dass für den Fall einer solchen „lenkenden“ Erbausschlagung keine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich ist. Denn es gäbe keinen Grund für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. (§ 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) für einen solchen Fall.
Dies gelte auch dann, wenn die Eltern wirtschaftlich von der Ausschlagung profitierten, da sie durch den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge selbst wieder Erben würden. Selbst ein womöglich entstehender Interessenkonflikt zwischen dem ausschlagenden Elternteil und dem minderjährigen Kind rechtfertige es nicht, die Wirksamkeit einer „lenkenden“ Ausschlagung eines werthaltigen Nachlasses von einer familiengerichtlichen Genehmigung abhängig zu machen. Dies wird auf Gründe der Rechtssicherheit, ein fehlendes über die bestehenden Regelungen hinausgehendes Schutzbedürfnis des minderjährigen Kindes und den Willen der Erbvertragsparteien gestützt.
Fazit:
Diese Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass die gesetzliche Regelung in § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. (§ 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) abschließend ist und ein darüber hinaus gehendes Genehmigungserfordernis nicht besteht.
Es bleibt also festzuhalten, dass eine familiengerichtliche Genehmigung bei einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind stets nicht erforderlich ist, wenn ein Elternteil die Erbschaft auch für sich selbst ausgeschlagen hat und dieser nicht neben dem Kind berufen war.
Verena Wittmann
Rechtsanwältin
Theoretische Voraussetzungen zur Fachanwältin für Erbrecht
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